Hintergrundinformation
"Es ist eine lange Zeit her. Jeder von ihnen schlief in einem mit Flüssigkeit gefüllten kleinen Kolben von der Größe eines menschlichen Daumens. Jeder von ihnen hatte eine austernfarbene Haut und war geformt wie eine Garnele. In einem Glaskasten am Ende einer Reihe von Regalen in einem dunklen Flur eines Krankenhauses für Geburtshilfe und Gynäkologie Krankenhaus nahe der Tanzawa Berge in Kanagawa, lehnten unzählige Föten in Formaldehyd leise aneinander als sähen sie in einen sonnigen Hof." (Daido MORIYAMA)
"Der schmale Risographie-Fotoband ‚Pantomime‘ vereint viele bislang nicht veröffentlichte Bilder Daido MORIYAMAs und ist in einer signierten Auflage von 600 nummerierten Exemplaren mit Siebdruck-Cover erschienen." (© Richard G. SPORLEDER)
Buchrezension (von Torsten Nyström)
„Als der Fotoband ‚Pantomime‘ von Daido MORIYAMA mit der Post ankommt, wird es wie üblich von einem Hauch von duftender japanischer Tinte begleitet (...), eine geheftete Publikation mit einem Siebdruck-Cover. Es beinhaltet Fotos von menschlichen Föten in Behältern. Der Fotoband enthält mehr oder minder die vollständige Serie seiner Bilder, die in Formalin aufbewahrte Föten zeigen; die Serie entstand im Alter von 25 in einem Entbindungsheim in Kanagawa. Es war 1963 und MORIYAMAs erstes eigenes Projekt nach drei Jahren Assistenz bei Eikoh HOSOE.
Zur gleichen Zeit, um 1963, dokumentierte der erst kürzlich verstorbene schwedische Fotograf Lennart NILSSON in verschiedenen medizinischen Forschungslabors in Schweden Föten nach einer abgebrochenen Eileiterschwangerschaft und am Karolinska Krankenhaus das Leben in einer Gebärmutter mit Hilfe eines Endoskops. (...) Diese Bilder wurden erstmals 1965 in dem Buch ‚A child is born' (dt.: Ein Kind ist geboren) publiziert. Am 30. April des gleichen Jahres widmete das amerikanische Life-Magazin in einer Ausgabe zu der Bildergeschichte von Lennart NILSSON seine Titelseite mit dem Foto eines lebenden, achtzehn Wochen alten Fötus im Inneren einer Fruchtblase, gleichsam ein schwimmender Astronaut. Arthur C. Clarke muss das Foto gesehen haben, bevor er das 'Sternenkind' in seinen 1968 erschienenen Roman und in das Skript für Stanley Kubricks Film '2001' einfügte. (...)
Im Jahr 1968 wurde das Fotobuch-Debüt von Daido MORIYAMA, 'Japan, A Photo Theater', veröffentlicht. Es beginnt mit einem Porträt des Schauspielers Shimizu Isamu sowie Bühnenfotos, die eine Vorahnung von den grobkörnigen und unscharfen Fotos von Daido MORIYAMA entstehen lassen und endet endet mit dem Beginn des Lebens; dieser von schwarzen Seiten eingerahmte Abschnitt umfasst acht seiner Fötus-Bilder in schwarz & weiß, wie der Rest des Buches.‚Pantomime‘ spielt damit vielleicht an auf den 1968er Titel, 'A Photo Theater', an, da es sich um eine Form des Theaters handelt.
Die von seinem Freund und Verleger Akio Nagasawa in einer limitierten Auflage von 600 Exemplaren veröffentlichte Publikation eröffnet uns (nun) die Gelegenheit, die Fötus-Bilder im Oktav- (d.h.: 21 x 29 cm.) anstelle des sextodecimo-Formats (= 10 x 17 cm.) von 'Japan, A Photo Theater' zu betrachten; um so mehr, als das 'Pantomime' aus z.T. ausklappbaren Doppel- oder Einzelseiten besteht.
Einige von seiner Nahaufnahmen erwecken die Illusion noch lebender Föten, aber die meisten sind offenbar tote Föten in einer Plastiktüte oder einem Glasbehälter oder Reagenzgläser. Zwei von ihnen liegen auf einem Tisch, andere knien in einer betenden Position oder liegen in einem Haufen. ‚Wirklich arme, kleine Gefährten‘, sagt Daido MORIYAMA dazu selbst im Nachwort. Er bezeichnet die Serie als den Ausgangspunkt seiner fotografischen Karriere während 'Pantomime' nichts anderes als meine eigene Hoffnungslosigkeit zu diesem Zeitpunkt offenbarte‘. (...) Seine Bilder anonymer Kreaturen sind grafische Muster sinnloser Tode. Der Fotoband 'Pantomime' ist der Inbegriff eines modernen Fotobuchs, welches sich von illustrierten Textbänden unterscheidet. (...)
Wenn die Leute das Buch von Lennart NILSSON betrachteten, dachten sie, die Bilder zeigten lebendige Proto-Babys, was nur auf wenigen Bildern wirklich zu sehen war. Betrachten sie die Föten von Daido MORIYAMA, glauben einige (so auch der Blog-Autor von 'Achtung.Photography'), sie sehen Puppen (und die blutigsten Fotos wurden natürlich nicht im Band ' A Photo Theater' veröffentlicht). Kaum jemand hegt Zweifel, dass die Daido-MORIYAMA-Föten nicht mehr leben.
Die Arbeit von Lennart NILSSON steht ganz in der Tradition von Life-Magazin und der Ausstellung 'Family of Men', die das gemeinsame menschliche Streben feiern. Dagegen ist Daido MORIYAMA ein Vorreiter der jungen japanischen Fotografie, die vor allem abstrakt geworden ist, auch wenn man manchmal etwas Realität hinter den Mustern von Farben und Schatten in der Arbeit von Daisuke YOKOTA oder Kenta COBAYASHI, zum Beispiel zu erkennen meint, wo der eine die Chemie und der andere digitale Werkzeuge bevorzugt, um das Dargestellte zu verändern. Diese Künstler streben in einer binären Welt die 'hypermateriality' an, manifestiert in Artefakten wie 'MMGGZZNN' von Kenta COBAYASHI, eine 1,7 m hohe, 1,2 m breite Zeitschrift oder 'Matter' von Daisuke YOKOTA: 100.000 fotografische, mit Wachs beschichtete Abzüge, die schließlich verbrannt werden.
Der Fotoband ‚Pantomime' von daido MORIYAMA bringt die Proto-Kreaturen in einer bescheidenen Art in die Nähe einer zweidimensionalen Existenz. Es ist ein Teil der heutigen Fotobuch-Szene, dass diese eher künstlerischer Natur sind denn informative Bücher wie ‚A child is born'." (frei übersetzter sowie leicht angepasster Text von Torsten NYSTRÖM)
Über den japanischen Fotografen Daido MORIYAMA (*1938 in Osaka)
Fotobücher von und zum Werk von Daido MORIYAMA
- Format
- Clipped pb. with linen dust jacket, 22 x 30,5 x 1 cm., 32 pp. (many foldout pages!), 24 b/w ills., bilingual text: Japanese / English, Ltd. to 600 copies